Versorgungssicherheit - was heißt das eigentlich? Wir geben Einblick in einige Begriffe.
Das Thema Versorgungssicherheit geistert im Zusammenhang mit den erneuerbaren Energien immer wieder mal durch die verschiedensten Medien. Sehr oft war in der Vergangenheit damit die Versorgungssicherheit bezogen auf elektrischen Strom im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien gemeint. Auf Grund des Krieges in der Ukraine hat gerade in den letzten Monaten zwar auch das Thema Erdgasversorgung massiv an Bedeutung gewonnen, wir wollen uns in diesem Beitraq allerdings erstmal der Versorgungssicherheit mit elektrischen Strom zuwenden.
Elektrischer Strom hat eine Eigenschaft, weshalb gerade hier das Thema Versorgungssicherheit besonders intensiv diskutiert wird: Er ist nicht bzw. kaum speicherbar - zumindest nicht direkt. Die Erzeugung von Elektrizität muss sich daher der Nachfrage im Stromnetz stets anpassen: Fällt die Erzeugung auch nur kurzzeitig aus, wirkt sich dies direkt negativ für die Verbraucher aus. Diese Eigenschaft des elektrischen Stroms wird im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien zu einer Herausforderung, da deren Erzeugungsleistung von den jeweiligen (lokalen) Wetterbedingungen abhängt. Trotzdem sind die Herausforderungen mittlerweile lösbar. Die intensiven Diskussionen zum erneuerbaren Ausbau entbrennen im Kern oft vielmehr über die ökonomische Zumutbarkeit der Lösungen. Zumindest vorübergehend entstehen nämlich Mehrkosten für den Umbau des Stromversorgungssystems. Uns ist aufgefallen, dass in solchen Diskussionen schnell mit Fachbegriffen gearbeitet wird, welche in der Regel nicht jedem geläufig sind. Damit Sie sich in diesen schwierigen und komplexen Diskussionen nicht verloren fühlen, haben wir einige wichtige Fachbegriffe im Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit gesammelt und wollen Ihnen diese nahebringen.
Dunkelflaute:
Die Dunkelflaute, manchmal auch kalte Dunkelflaute, bezeichnet einen Zustand im Winter bei dem über einen längeren Zeitraum wenig bis keine Energie aus Sonne und Wind zur Verfügung steht. Laut einer Analyse von Energy Brainpool (siehe Quellen und Links) trat in den Wetterjahren 2006 bis 2016 "in jedem zweiten Jahr eine mindestens zweiwöchige Phase [auf], in der die modellierte mittlere Residuallast* über 70 GW betrug[.]"
* Erklärung siehe Residuallast
Quellen und Links:
Standard (fraunhofer.de)
https://www.energybrainpool.com/fileadmin/download/Studien/Studie_2017-06-26_GPE_Studie_Kalte-Dunkelflaute_Energy-Brainpool.pdf
Erzeugungsschwache Wetterjahre
Wird das Wetter ganzer Jahre miteinander verglichen, zeigen sich auch hier Unterschiede. So treten gelegentlich extreme Wetterjahre auf, die in Hinblick auf die Erzeugung mit erneuerbaren Energien relevant weniger Potenzial bieten als der Durchschnitt. Kritsch sind solche Wetterjahre insbesondere dann, wenn es sich um kalte und windschwache Jahre handelt, da durch die zunehmende Sektorkopplung ein hoher Stromverbrauch für Wärmeerzeugung auf eine geringe Erzeugung durch Windenergie trifft. Dieser Fall wäre in der Diskussion demnach abzugrenzen von der Dunkelflaute, welche auch in insgesamt erzeugungsstarken Jahren auftreten kann. Die zusätzliche Herausforderung bei solchen Wetterjahren liegt in dem Umstand, dass perspektivisch vorhandene große Speicherkapazitäten schwerer befüllt werden können, um Dunkelflauten überbrücken zu können.
Quellen und Links:
Standard (fraunhofer.de)
Flexibilität und Demand Side Management (DSM)
Die Bundesnetzagentur definiert Flexibilität als "die Veränderung von Einspeisung oder Entnahme in Reaktion auf ein externes Signal (Preissignal oder Aktivierung) mit dem Ziel, eine Dienstleistung im Energiesystem zu erbringen." Wird nur die Flexibilität der Stromnachfrage betrachtet, spricht man in der Regel von sogenanntem Demand Side Management (DSM), also der Steuerung der Stromnachfrage. Die verschiedenen Flexibilitätsoptionen hat Energy Brainpool in einer Analyse zur kalten Dunkelflaute, allerdings ohne scharfe Abgrenzung, in kurz-, mittel- und langfristiger Flexibilitäten eingeteilt.
Quellen und Links:
Bundesnetzagentur - Flexibilität
BMWi Newsletter Energiewende - Was ist eigentlich "Demand Side Management"? (bmwi-energiewende.de)
https://www.energybrainpool.com/fileadmin/download/Studien/Studie_2017-06-26_GPE_Studie_Kalte-Dunkelflaute_Energy-Brainpool.pdf
(stabile) Großwetterlage
Ebenfalls eine besondere Herausforderung stellen (kalte) Dunkelflauten dar, wenn sie durch (stabile) Großwetterlagen auftreten. Großwetterlage bedeutet, dass das Wetter über weite Teile oder gar ganz Kontinentaleuropa ähnlich ist. Dunkelflauten können ebenfalls als Großwetterlagen auftreten, was besonders im Winter herausfordernd ist, da durch kurze Tage und hohen Heizbedarf der Stromverbrauch höher als im Sommer ist (sogenannte kalte Dunkelflaute). Solch ein Fall trat beispielsweise Ende Januar/ Anfang Februar im Jahr 2006 auf. Da eine Großwetterlage weite Teile Europas betrifft, kann nur wenig erneuerbar erzeugter Strom zwischen den Ländern ausgetauscht werden.
Quellen und Links:
https://www.energybrainpool.com/fileadmin/download/Studien/Studie_2017-06-26_GPE_Studie_Kalte-Dunkelflaute_Energy-Brainpool.pdf
Momentanreserve
Eine neue Herausforderung bei der Verwendung von erneuerbaren Energien ist die Bereitstellung der Momentanreserve. Wie bereits erwähnt, wirkt sich eine Verbrauchsänderung sofort auf die Netzfrequenz aus. Warum also greift die Primärregelleistung erst nach etwa 30 s Sekunden?
Im konventionellen Energieversorgungsnetz wird die eingespeiste Leistung vorwiegend mit Hilfe großer Generatoren in Kohle-, Atom- oder Gaskraftwerke bereitgestellt. In solch einem Generator drehen sich mehrere hundert Tonnen Stahl, Kupfer und andere Materialien. Diese Bewegung sowie die Magnetfelder und elektrischen Felder der Generatoren speichern große Mengen Energie. Die Generatoren sind in der Regel starr an das Netz gekoppelt, das heißt sie drehen sich schneller, wenn die Netzfrequenz steigt oder langsamer, wenn sie sinkt. Dabei werden gewaltige Energiemengen zwischen Generator und Netz ausgetauscht, wodurch die Änderung der Netzfrequenz verlangsamt wird.
Ohne diese großen Generatoren müssen nun zunehmend erneuerbare Energien die Momentanreserve bereitstellen. Mittlerweile gibt es erste Entwicklungen, die auch Solar- und Windparks dazu befähigen. Ebenfalls können große Batteriespeicher in Sekundenbruchteilen reagieren und so eine Momentanreserve bereitstellen.
Quellen und Links:
Minimale Schwungmasse_1.pdf (netzentwicklungsplan.de)
Studie (dena.de)
Netzfrequenz
Eine wichtige Kennzahl für den Zustand des Stromversorgungsnetzes ist die Netzfrequenz. Sie liegt in den Ländern des europäischen Netzverbundes bei mit möglichst minimalen Abweichungen bei 50 Hz und ist an jeder Stelle dieses Netzes identisch. Wird mehr Leistung im Netz nachgefragt als produziert, sinkt die Netzfrequenz. Wird weniger abgerufen, steigt sie. Umgekehrt verhält es sich bei der Einspeisung. Eine größere Einspeisung erhöht die Netzfrequenz und umgekehrt. Für Netzbetreiber ist daher das Messen der Netzfrequenz sehr wichtig, um auf Verbrauchs- bzw. Einspeiseschwankungen reagieren zu können. Um die Netzfrequenz zu steuern, wurden die verschiedenen Regelleistungstypen eingeführt.
Quellen und Links:
Minimale Schwungmasse_1.pdf (netzentwicklungsplan.de)
Regelenergie und die verschiedenen Regelleistungstypen
Um kurzfriste Schwankungen im Verbrauch und in der Erzeugung abzufangen, wurde das Konzept der Regelleistung eingeführt. Die verschiedenen Regelleistungstypen werden nach Ihrer Reaktionszeit eingeteilt. Am schnellsten steht die Primärregelleistung zur Verfügung. Innerhalb von 30 Sekunden nach Anforderung muss sie für bis zu 15 Minuten vom Anbieter erbracht werden können. Die Bereitstellung erfolgt automatisch. Primärregelleistungsfähige Erzeuger sind in der Regel teuer, weshalb für langsamere Lastwechsel die anderen Regelleistungstypen genutzt werden. 5 Minuten nach Anforderung muss die Sekundärregelleistung für mindestens eine Stunde voll einsatzfähig sein. Es ist wichtig, dass dann von der Primärregelleistung zeitnah an die Sekundärregelleistung übergeben wird, damit erstere rasch wieder in vollem Umfang zur Verfügung steht. Auch die Sekundärregelleistung wird automatisiert zugeschalten. Innerhalb von maximal 15 Minuten muss die Tertiärregelleistung oder auch Minutenreserve in der Lage sein zu übernehmen. Diese wird automatisiert oder telefonisch zugeschalten. Nach der Tertiärregelleistung wird an die Stundenreserve übergeben, welche manuell durch den Bilanzkreisverantwortlichen geplant wird. Oft werden Kraftwerke beispielsweise bei 90 oder 95 % ihrer eigentlichen Leistung betrieben, um das verbliebene Leistungspotential schnell als Primärregelleistung zur Verfügung zu stellen. Für das Vorhalten dieser Leistungsreserven wird der Anbieter entsprechend bezahlt. Wer Regelleistung anbieten möchte kann dies auf dem Regelleistungsmarkt tun.
Quellen und Links:
§ 2 StromNZV - Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)
Stadler, I. (2014), Energiespeicher: Bedarf, Technologien, Integration, Springer Vieweg, Berlin.
Konstantin, P. (2013), Praxisbuch Energiewirtschaft: Energieumwandlung, -transport und -beschaffung im liberalisierten Markt, VDI-Buch, 3., aktual. Aufl. 2013, Springer Berlin Heidelberg.
Residuallast
Die Residuallast ergibt sich, wenn man von dem Verbrauch bzw. der Last die erneuerbare Erzeugung abzieht. Folglich schwankt sie je nach aktuellem Verbrauch und aktueller erneuerbarer Erzeugung.
Derzeit wird die Residuallast noch durch konventionelle Kraftwerke, sowie Speicher, Lastverschiebung und den europäischen Stromaustausch über Grenzkuppelstellen abgedeckt. Auch die Stromerzeugung mittels Biomasse wäre zur Erbringung von Residuallast geeignet. Das Potenzial wird allerdings derzeit noch wenig genutzt. In einer künftigen Stromversorgung ohne fossile Energieträger werden konventionellen Brennstoffe nicht mehr in Kraftwerken verwendet werden können und die Residuallast muss anders, z. B. durch Speicher oder Gaskraftwerke mit biogenen bzw. synthetischen Gasen, erbracht werden.
Quellen und Links:
Stadler, I. (2014), Energiespeicher: Bedarf, Technologien, Integration, Springer Vieweg, Berlin.
SAIDI- und ASIDI-Indizes
Beim SAIDI (System Average Interruption Duration Index) und dem ASIDI (Average System Interruption Duration Index) handelt es sich um Kennzahlen zu Versorgungsunterbrechungen. Der SAIDI wird dabei neben Unterbrechungen in der Strom- auch für Unterbrechungen in der Gasversorgung ermittelt. In beiden Bereichen werden die Kennzahlen aus den Daten der aller (Verteil-) Netzbetreiber ermittelt. Es gibt für den SAIDI noch verschiedene "Spezialformen", je nachdem, ob beispielsweise nur ungeplante Unterbrechungen erfasst werden. Für Details zu diesen Unterformen empfehlen wird unter anderem die Seiten der Bundesnetzagentur.
Interessant mit den erneuerbaren Energien ist festzuhalten, dass deren Ausbau sich bisher kaum oder gar nicht negativ auf den SAIDI auswirkt: Seit mindestens 2006 sind die Unterbrechungszeiten in der Stromversorgung im Mittel gesunken.
Quellen und Links:
Bundesnetzagentur - Auswertung Strom
Bundesnetzagentur - Auswertung Gas
Volatile Erzeugung vieler Erneuerbarer Energien
Insbesondere das Dargebot von Wind- und Solarenergie ist wetterabhängig. Daher ist die Erzeugung volatil. Natürlich können auch konventionelle Kraftwerke in ihrer Leistung geregelt werden, allerdings sind diese verbrauchsabhängig steuerbar. Die Volatilität der der erneuerbaren Erzeugung zu beherrschen bringt gewisse Herausforderungen mit sich. Allerdings zeigt sich, dass wir voraussichtlich keine saisonale Speicherung benötigen werden. Dies hat einen sehr praktischen Grund: Sonnen- und Windstromerzeugung korrelieren auf allen Zeitskalen von Stunden bis Monaten negativ. Das heißt, in der Regel weht Wind, wenn keine Sonne scheint und anders herum. Das gilt nicht nur im Tagesverlauf oder im Vergleich zwischen Tag und Nacht, sondern auch im Vergleich zwischen Sommer, Herbst, Winter und Frühling. Dennoch bringt die sogenannte Dunkelflaute für die Versorgung mit erneuerbaren Energien eine große Herausforderung auch an die Speicherkapazität mit sich.
Quellen und Links:
aktuelle-fakten-zur-photovoltaik-in-deutschland.pdf
„Neue Ziele auf alten Wegen? Strategien für eine treibhausgasneutrale Energieversorgung bis zum Jahr 2045“ (fz-juelich.de)
Volatiler Verbrauch:
Durchaus wird in der Diskussion zur Versorgungssicherheit vergessen, dass auch der Verbrauch volatil ist. Einen Eindruck gewinnt man zum Beispiel in den Energy-Charts.de des Fraunhofer ISE. Unter dem Reiter "Leistung → Stromerzeugung" lässt sich die Last (d.h. der Verbrauch) für den gesamten deutschen Strommarkt anzeigen. Sehr deutlich sind die Schwankungen zwischen Tag (hoher Verbrauch) und Nacht (niedriger Verbrauch) zu erkennen. Glücklicherweise lässt sich der volatile Verbrauch gut statistisch vorhersagen, weshalb beispielsweise eine größere Mengen an Haushaltskunden, deren individueller Verbrauch in der Regel nicht in Echtzeit gemessen wird, durch das sogenannte Standardlastprofil modelliert werden kann.
Quellen und Links:
Standardlastprofile Strom | BDEW
Das Konzept der Vollbenutzungsstunden
Das Konzept der Vollbenutzungsstunden oder auch Volllaststunden ermöglicht, die Auslastung von Energieerzeugungseinheiten besser miteinander zu vergleichen oder aus der installierten Leistung die erzeugte Strommenge abzuleiten. Die Vollbenutzungszahl bildet sich durch den Quotienten aus der von der Stromerzeugungseinheit erzeugten jährlichen Energiemenge und der installierten Leistung.
Die verschiedenen Energieerzeuger erreichen dabei im Mittel verschiedene Vollbenutzungsstundenzahlen. Theoretisch maximal möglich wären zwar etwa 8.760 Stunden, also so viele Stunden wie ein Jahr hat. Allerdings erreichen auch konventionelle Kraftwerke selbst im günstigsten Falle nicht diesen Wert. Dies liegt allein schon an den regelmäßigen Wartungsarbeiten, wenn das Kraftwerk abgeschaltet oder gedrosselt werden muss. Die Übersicht des BDEWs zu den Vollaststunden der einzelnen Technologien zeigt, dass Kernenergie mit bis über 8.000 Volllaststunden die höchsten Werte erreicht - erneuerbare Energien hingegen nur etwa 900 (Photovoltaik) bis 3.500 (Wind auf See). Aber Vorsicht ist bei der Interpretation dieser Zahlen geboten: So sagen sie ohne weitere Informationen zunächst nichts über die Stromgestehungskosten aus! Die Vollbenutzungsstunden helfen uns aber zum Beispiel, den (zukünftigen) Ertrag einer Anlage an Hand der installierten Leistung abzuschätzen.
Quellen und Links:
Daten und Fakten zu Braun- und Steinkohlen (umweltbundesamt.de) S. 20
Jahresvolllaststunden_2020_2021_o_online_jaehrlich_Ba_09062022.pdf (bdew.de)
Unsere Übersicht zu den Begriffen mit Bezug zum Thema Versorgungssicherheit ist natürlich nicht vollständig. Sie greift vor allem Begrifflichkeiten auf, welche wir in der öffentlichen Diskussion vermehrt wahrgenommen haben und die oft nicht korrekt verwendet wurden. Deshalb sind Sie jetzt an der Reihe!
Welche Begriffe fehlen Ihnen? Was sollten wir ergänzen? Schreiben Sie es uns gern in die Kommentare